Hannover. In unserer digitalisierten und globalisierten Welt, die von Schnelllebigkeit geprägt ist, wird der Wunsch nach Individualisierung immer stärker. Das beschleunigte Leben verändert auch das Konsumverhalten der Menschen. Aufgrund der Suche nach Selbstbestimmung und Einzigartigkeit werden Produkte und Dienstleistungen immer stärker personalisiert und individuell angefertigt. "Co-Creation" bekommt eine neue Bedeutung, da der Kunde sich intensiver am Gestaltungsprozess beteiligen möchte und dies als erweiterte Möglichkeiten seines Selbstausdrucks betrachtet. Neue und weiterentwickelte Technologien ermöglichen einzigartige personalisierte Kundenerlebnisse.

Diesen Trend hat die Weltleitmesse für Bodenbeläge DOMOTEX mit dem Leitthema "UNIQUE YOUNIVERSE" für die Messe 2018 aufgegriffen. In Halle 9 wird eine facettenreiche Erlebniswelt entstehen, die Besuchern als zentrale Anlaufstelle und Quelle für Inspirationen dienen wird: In den "Flooring Spaces" präsentieren ausstellende Unternehmen aus der Bodenbelagsbranche kreative Produktinszenierungen, die das Leitthema widerspiegeln. Bei den "Living Spaces" gestalten Aussteller mit Unternehmen aus dem Interior-Design inspirierende Räume und Lifestyle-Welten. Unter der Bezeichnung "NuThinkers" präsentieren Studenten, Nachwuchsdesigner oder Start-ups ihre innovativen Projekte zum Trend der Individualisierung. Und bei "Art und Interaction" werden Exponate aus Kunst und Design mit interaktiven und multimedialen Inszenierungen das Thema "UNIQUE YOUNIVERSE" sinnlich erfahrbar machen.

Was steckt hinter dem Motto "UNIQUE YOUNIVERSE"?

Bei vielen Produkten kann der Nutzer heute Einfluss auf den Gestaltungs- und Produktionsprozess nehmen. Digitale Technologien machen es möglich, per Mausklick personalisierte Gegenstände selbst zu entwerfen und in Auftrag zu geben. Eine entscheidende Rolle spielt dabei das emotionale Erlebnis, es trägt zur besonderen Wertschätzung individualisierter Dinge bei. Für die Abwandlung eines Serienprodukts nach persönlichem Geschmack kursieren in den letzten Jahren Bezeichnungen wie "Customization", "Co-Creation" oder "Bespoke". Der Kunde wird zum "Prosumer", zu Konsument und Co-Produzent in einer Person. Dadurch verändert sich auch das Verhältnis zur Marke – die Bindung wird enger, sobald der Käufer das Gefühl hat, mitgestalten zu können.

Schuh, Shirt und Schal – besonders in der Mode ist Individualisierung angesagt

Bereits kurz vor der Jahrtausendwende stellte der Sportartikelhersteller Nike seinen individualisierbaren Sneaker "NIKEiD" vor. Mithilfe einer einfach verständlichen Software lässt sich der persönliche Wunschschuh durch die Auswahl von Farbe, Material und Beschriftung Schritt für Schritt online gestalten. Nach Abschluss des Bestellvorgangs dauert die Fertigung zwischen drei und fünf Wochen. Unter dem Label "Miadidas" kann man neben Sportschuhen auch Fußballshirts und Kapuzenjacken direkt auf der Website des Unternehmens personalisieren und nach Erhalt des Produkts eine Geschichte zum individuellen Design hochladen. In Kooperation mit der amerikanischen Umweltorganisation "Parley for the oceans" bietet Adidas zudem eine Kollektion an, bei der jeder Badeanzug einzigartig ist, weil er aus Kunststoffen besteht, die aus dem Meer gefischt und dann zu neuen Fasern recycelt werden.

Auch exklusive Modemarken setzen verstärkt auf Customizing. In den Shops der britischen Luxusmarke Burberry stellt die "Burberry Scarf Bar" eine große Auswahl besonderer Farben, Muster und Materialien zur Verfügung, aus denen sich der Kunde den gewünschten Look seines persönlichen Kaschmirschals aussuchen und mit einem Monogramm individualisieren kann. Wer keine persönliche Beratung in einem der Flagship Stores benötigt, kann die Produktauswahl auch im digitalen Markenstore am heimischen Computer vollziehen. Unter dem Markenzeichen "Made to order" bietet die Designermarke Jimmy Choo eine Serie personalisierbarer Schuhe und Taschen an, die in Italien in Handarbeit hergestellt werden. Wie bei Burberry muss man sich nach der Produktgestaltung am Computer etwa drei Monate gedulden, bis das selbst (mit)entworfene Modell fertig ist.

Auto- und Sofa-Unikate für den Luxuskonsumenten

Produkte mit einem weltbekannten Logo, die dennoch einzigartig sind – das gibt es auch in anderen Branchen. Insbesondere der Luxuskonsument möchte über die Ausführung bestimmen, da er nicht Massenartikel, sondern manufakturell gefertigte Kleinserienprodukte erwirbt. Das einzigartige Erlebnis gehört für ihn zum unverwechselbaren Produkt. So bietet etwa der österreichische Hersteller Wittmann an, der Fertigung des eigenen Polstermöbels beizuwohnen. Einen starken Zuwachs bei individualisierten Automobilen verzeichnet der italienische Premium-Autobauer Lamborghini. Im Jahr 2016 waren bereits fünfzig Prozent der verkauften Luxus-Automobile personalisiert ausgestattet. Allerdings handelt es sich dabei trotzdem um eine sehr überschaubare Anzahl von 500 bis 700 Fahrzeugen, die pro Modelltyp insgesamt gefertigt werden.

Maßanfertigungen für Großprojekte

Im Interior-Bereich bezieht sich Individualisierung meist auf die freie Kombination einzelner Elemente eines Programms. Darüber hinaus gibt es Hersteller, die Produkte außerhalb regulärer Serien in kleiner Stückzahl anbieten, wie etwa der Schweizer Badkeramikhersteller Laufen. Bei seinen "Bespoke Projects" stellt das Unternehmen in Zusammenarbeit mit Architekten und Designern maßgeschneiderte Waschtische, Badewannen oder Toiletten für spezielle Bauprojekte her. Das betrifft denkmalpflegerische Projekte wie die Wiederherstellung der Villa Tugendhat von Mies van der Rohe in Brünn ebenso wie ein Wohnhochhaus von Herzog & de Meuron in New York. Das polnische Start-up Tylko mit Standorten in Warschau und Berlin geht noch einen Schritt weiter: Sein "Hub Table", entworfen vom international renommierten Designer Yves Béhar, kann im Internet individuell per Schieberegler gestaltet werden. Variabel sind sowohl Größen, Oberflächen und Farben des Tisches als auch Neigung und Form seiner Beine. Im Gegensatz zu den meisten Herstellern personalisierter Produkte gewährt Tylko sogar ein Rückgaberecht.

Umtausch nicht gestattet!

Umtausch ist bei der digital maßgeschneiderten Brille "My very Own" von Mykita dagegen ausgeschlossen, denn sie wird passend für die einzigartige Anatomie jedes Kunden angefertigt. Dazu nutzt die Berliner Brillenmanufaktur einen 3D-Scan des Gesichts in Verbindung mit parametrischem Design und 3D-Fertigung. Nicht immer können individuell gestaltete Produkte auch gekauft werden. Mit "Alessi goes digital" führte das italienische Unternehmen, das für innovative Geschenk- und Haushaltswaren bekannt ist, ein Forschungsprojekt zu individualisierten Schreibgeräten durch. In Zusammenarbeit mit dem Industriedesigner Giulio Iachetti entstand eine Serie aus sechs funktionalen Stiften, deren Formen und Oberflächen nur mittels 3D-Druck realisiert werden können. Das Projekt lotet Möglichkeiten wie Beschränkungen dieser jungen Technologie aus. Noch in Vorbereitung befindet sich ein Kooperationsprojekt des britischen Designers Tom Dixon mit dem schwedischen Möbelriesen. Künftig sollen Ikea-Kunden personalisierte Sofas und Betten online planen können. Als flexible Basis dienen unter anderem modulare Aluminiumprofile aus zu 40 Prozent recyceltem Material. Die dazu gehörende Plattform "Delaktig" (Schwedisch für "Beteiligt") geht voraussichtlich zu Beginn des Jahres 2018 an den Start.

Die Zukunft: Der Mensch als Mitgestalter der Marke

Personalisierte Produkte entstehen durch eine Verbindung aus handwerklicher und industrieller Fertigung mit digitalen Steuerungs- und Bestelltechniken. Pionierunternehmen wurden anfangs für ihre Projekte belächelt. Der digitale Wandel der Produktion eröffnet jedoch neue Möglichkeiten der Individualisierung. Eine intensivere Einbindung des Kunden ist heute schon spezifisch für Personalisierung. Bald schon dürfte das Angebot über die einfache Auswahl aus vorgegebenen Optionen hinausgehen. Das Mitgestalten sowie persönliches Feedback an die Marke – ob automatisch übermittelt oder auf anderem Wege – spielen eine zunehmende Rolle. Womöglich entstehen dabei in absehbarer Zukunft gänzlich neue Typologien von Gegenständen, deren Gestalt und Nutzung sich – etwa in Verbindung mit Dienstleistungen – von heute bekannten Produkten deutlich unterscheidet.