Hannover. Die Bildersprache klassischer Gewebe bedient sich – je nach Volksgruppe und regionaler Herkunft – vielfältiger Motive. Viele der Symbole und Muster, von geradlinigen geometrischen Formen bis hin zu komplexen, diffizil geknüpften Ornamenten, sind auch für den Laien relativ leicht zu erkennen und einzuordnen. Sie erzählen die Geschichte des Teppichs und von den Wanderungen der Steppenvölker.

Doch abgesehen von den Teppichen, die auch heute noch von Stammesgemeinschaften in Handarbeit geknüpft werden, thematisieren zeitgenössische Gewebe "Stammesidentität" in stark abgewandelter Form. Moderne Designs folgen einerseits Trends, die häufig international geprägt sind, und andererseits Formen des elementaren Individualismus. Sie beziehen ihre Inspirationen aus einer Vielfalt von Quellen, Epochen und Ländern, ein Schmelztiegel visueller Ausdrucksvielfalt.

Der gegenwärtige Trend, der in allen Designfeldern Beachtung findet, nennt sich "modernisierte Tradition". Soll heißen: Ein klassisches Design bzw. eine Kombination von Designs wird modern interpretiert, sodass sich dem Betrachter ein ganz neuer ästhetischer Aspekt sowohl im historischen Kontext als auch in zeitgenössischen Zusammenhängen erschließt. Dieser Trend zeigt sich auch in der Mode, bei der Innenraumgestaltung und in vielen anderen Designbereichen. Doch kein Medium ist so stark von dieser Strömung durchdrungen wie die moderne Teppichmanufaktur, wo sich ein neues Genre unter dem Begriff "transitionelles Design" großer Popularität erfreut.

"Transitionell" steht nicht etwa für eine ganz bestimmte visuelle Optik, sondern beschreibt die Weiterentwicklung traditioneller Designs mit Kunstgriffen wie Desintegration, Überlagerung, Webfehlern, Neuinterpretation und ähnlichen Effekten, die digital integriert werden können. Jeder der führenden Teppichhersteller, der transitionelle Designs kreiert, greift dabei auf individuelle Techniken zurück und verfolgt eine ganz eigene unverwechselbare Ästhetik. Diese ermöglichen zudem, hinsichtlich Farbe und Größe auf spezielle Kundenwünsche einzugehen. Maßgeschneiderte Produkte wie diese sind Teil von UNIQUE YOUNIVERSE auf der DOMOTEX 2018 und zeigen Wege für die individuelle Gestaltung bei der Inneneinrichtung.

Die 21st Century Persian Carpets des deutsch-iranischen Designers Hossein Rezvani sind eine wundervolle Hommage an die jahrtausendealte Geschichte der persischen Teppichkunst. Durch Reduzierung der traditionellen iranischen Teppichmuster auf ihre Essenz, durch Einsatz dynamischer Farben und durch hochwertige Fertigung von Hand schafft Rezvani eine moderne Interpretation des klassischen Perserteppichs. Seine Stücke sind zeitgenössisch und unkonventionell – eine betörende Verbindung aus Tradition und Moderne.

In puncto Innovation ist das Berliner Teppich-Label Rug Star des studierten Architekten Jürgen Dahlmanns kaum zu überbieten. Dahlmanns neue Rug Star Tuft Kollektion aus hochwertigen, in China gefertigten Teppichen stieß bei den Besuchern der DOMOTEX im Januar 2017 auf überwältigende Resonanz. Auf der DOMOTEX stellte Dahlmanns erstmals seine gesamte Kollektion vor. Von Weitem mag ein Teppich wie der New Classic Tabriz wie eine moderne Spielart eines antiken persischen Designs wirken. Bei genauerem Hinsehen erschließt sich indes das bahnbrechende visuelle Konzept: Üppiger Flor verschmilzt zu einem farbenfrohen klassischen Entwurf auf Flachgewebegrund. Der Effekt ist surreal und erinnert an Teppiche und Gobelins aus "Alice im Wunderland".

Doch sind Dahlmanns und Rezvani nicht die einzigen Designer, die die schönsten persischen Designs mit neuem Leben erfüllen. Der Graffiti 2 Gabbeh-Teppich aus dem Hause Zollanvari, einem angesehenen iranisch-schweizerischen Teppichhersteller, ist beispielhaft für die perfekte Verbindung aus Alt und Neu. Gabbeh-Teppiche wurden ursprünglich von persischen Nomadenstämmen für den eigenen Gebrauch hergestellt. Doch in diesem Fall transformierte ein Fehler im Entwurf den antiken Teppich in ein zeitgenössisches Kunstwerk. Die Kollektion von Ayka Design mit dem Titel "Vase" verbindet klassische persische Muster mit den für Designerin Karen Michelle Evans typischen längeren Florhöhen. Das Ergebnis ist ein verlockend-verwirrend persisches Design, das sich in seiner Abstraktion erst beim näheren Hinschauen erschließt.

Die 17th Century Modern Kollektion des Londoner Labels Knot Rugs ist ein weiteres hervorragendes Beispiel modernisierter Tradition. Das Designteam des Unternehmens greift in seinen Entwürfen auf Vorlagen für einige der meistgeschätzten klassischen Teppiche zurück. Daraus entstehen Kollektionen, die in einzigartiger Weise das Moderne mit dem Antiken verweben. Skull No. 1 repliziert die Farben des sogenannten Polonaise Design aus dem 17. Jahrhundert und besticht durch seine antike Patina, die durch Oxydation erreicht wird. Der Einsatz tradierter Techniken kontrastiert auf ironische Weise mit den eingewebten Tattoo-inspirierten totenkopfähnlichen Formen, die uns unversehens ins 21. Jahrhundert zurückrufen.

Wenig erinnert heutzutage in Afghanistan an jene Zeit, als die afghanische Teppichproduktion auf ihrem Höhepunkt war. Doch trotz der Verwüstungen, die der Krieg hinterlassen hat, stellen Teppichhäuser immer noch ihre Läufer und Knüpfteppiche her. Erbil Tezcan, Eigentümer des US-Labels Wool & Silk Rugs, arbeitet seit drei Jahren in Afghanistan. Sein dort kreiertes Design History Rug wurde im Washingtoner Smithsonian Institute ausgestellt und demonstriert in eindrucksvoller Weise die Arbeit der Nichtregierungsorganisation Turquoise Mountain in Afghanistan, die sich für die Förderung des (Kunst-)Handwerks im Land einsetzt. Bei der Arbeit an diesem Teppich verschmolz Tezcan digital 23 traditionelle afghanische Teppichdesigns mit zeitgenössischer Farb- und Mustergebung. Das Ergebnis ist in seiner Essenz ein klassisches Beispiel afghanischer Teppichkunst – Inbegriff ländlicher Erzählkunst, doch mit zeitgenössischer Stimme.