Herr Saaksi, für Ihre Kunstwerke nutzen Sie viele Farben, Formen und Strukturen und schaffen damit fantastische, psychedelische Welten. Sogenannte "hypnopompische" Halluzinationen einer Verwandten haben Sie dazu inspiriert: ungewöhnliche Sinneseindrücke in der kurzen Phase zwischen Schlaf und Wachzustand. Was hat sie gesehen?

Kustaa Saksi: Ja, das stimmt. Das, was sie mir über ihre Halluzinationen erzählt hat, habe ich mit einem Diktiergerät aufgenommen und später als Inspiration genutzt und auf meine Art interpretiert. Ich selbst leide seit meiner Kindheit an Migräne. Auch das hat meine Vorstellungskraft beeinflusst. Damals begann ich, ungewöhnliche Muster zu sehen. Heute versuche ich, diese in meinen Webereien darzustellen. Außerdem beeinflusst mich die Natur und wie sie sich bewegt. Ich mag es zum Beispiel, ganz zum Kern einer Pflanze durchzudringen, und das dann in meine eigene visuelle Sprache zu übersetzen. Das knüpft wieder an die Halluzinationen meiner Verwandten an. In Ihren Träumen befindet sie sich oft im Dschungel oder in Feldern, wo sie Insekten und Spinnen sieht. Auch diese Eindrücke verwende ich für meine "Hypnopompic Collection".

Sie haben zunächst als Illustrator begonnen, aber mittlerweile designen Sie größtenteils Wandteppiche. Was fasziniert Sie an Textilien?

Kurz gesagt: Sie sind dreidimensional. Papier ist flach und in seinen Möglichkeiten etwas begrenzt, wohingegen man Textilien anfassen und von allen Seiten anschauen kann. Design in 3D bedeutet, mit Licht, Oberflächen und Materialien zu spielen. Ich illustriere auch noch, aber momentan brenne ich wirklich für Textilien.

Ihre Designs bestehen nicht nur aus auffälligen Mustern: Sie nutzen eine starke Bildsprache und erzählen in jedem Ihrer Werke eine Geschichte. Wovon erzählen Ihre Wandteppiche?

Meine Designs basieren ja immer auf mehreren Träumen. Aber welche Geschichten sie erzählen, kommt auf den Betrachter an. Ich will die Menschen so inspirieren, dass sie mithilfe ihrer persönlichen Erfahrungen ihre eigenen Geschichten über meine Teppiche erzählen. Dass sie sozusagen die Lücken selbst füllen. Es ist total interessant, die vielen verschiedenen Interpretationen zu hören. Da gibt es kein richtig oder falsch.

Wie entsteht die erste Idee für ein Design?

Das ist unterschiedlich. Manchmal beginnt ein Design mit einer einfachen Form aus der Natur. Ich lebe in Amsterdam, also in einer sehr urbanen Umgebung. Da inspiriert es mich zum Beispiel, wenn ich im Wald spazieren gehe. Ideen können aber immer und zu jeder Zeit entstehen – auch im Supermarkt. Ich glaube auch, dass sich viele Ideen im Schlaf entwickeln, wenn das Unterbewusstsein arbeitet.

Was hat Ihren Stil noch beeinflusst?

Ich habe viel über Träume gelesen. Ich bin ein großer Fan des Neurologen Oliver Sacks, der einige Bücher über Träume und Halluzinationen veröffentlicht hat. Was Kunstbewegungen angeht, mag ich Art déco, Jugendstil und die psychedelische Epoche in den 1960er Jahren. Auch Reisen inspiriert mich. Ich liebe zum Beispiel folkloristische Kunst aus der ganzen Welt – meine Arbeit beinhaltet Stile aus verschiedenen Kulturen, zum Beispiel Japan, Skandinavien und Indien.

Für das niederländische Textiel Museum (Tilburg) haben Sie Wandteppiche entworfen, die mithilfe neuester Webtechniken produziert wurden. Wird Technologie im Bereich Textildesign wichtiger werden?

Ich habe immer mit der klassischen Jacquardmusterung gearbeitet, aber heute können computergesteuerte Maschinen das Weben übernehmen. Es ist beeindruckend, wie genau sie Details weben und sogar Stickereien nachempfinden. Technologie bietet schier unbegrenzte Möglichkeiten, und das ist erst der Anfang. Ich glaube, sie wird zukünftig immer wichtiger werden, worauf ich mich wirklich freue.

Sie sind Jurymitglied der Carpet Design Awards , die auf der DOMOTEX verliehen werden. Ohne zu viel zu verraten: Welche Entwürfe sind Ihnen am meisten aufgefallen?

Als Jurymitglied habe ich sehr viele Teppiche bewertet – manche sind unauffällig designt, andere sehr gewagt, manche einfach nur praktisch und andere wiederum total auffällig. Da ich von Haus aus Grafiker bin, haben mich am meisten interessante Muster, tolle Designs und "intelligente" Materialien beeindruckt. Ich freue mich schon sehr darauf, die Designer auf der DOMOTEX zu treffen.

Zwischen Wandteppichen und Teppichen gibt es viele Gemeinsamkeiten. Was unterscheidet sie, zum Beispiel was Design oder Material betrifft?

Für die Wand oder den Boden zu designen ist höchst unterschiedlich. Vor allem, weil das Licht und der Standpunkt des Betrachters zu großen Teilen bestimmen, wie man das Werk wahrnimmt. Und das ist bei den beiden ja wirklich verschieden. Teppiche sind außerdem sehr bedeutend für die Inneneinrichtung. Auch wenn man sie als Kunstwerk ansehen kann, haben sie einen praktischen Nutzen – das spiegelt sich auch im Design wider. Außerdem müssen Teppiche aus strapazierfähigem Material sein, da man ja über sie läuft.

Können Sie sich vorstellen, auch klassische Teppiche zu designen?

Ich habe bereits für die niederländische Firma Moooi Carpets hochwertige Teppiche designt. Aber bis jetzt habe ich keine ganz klassischen Teppiche entworfen, sondern immer nur gewebte Wandteppiche. Vielleicht inspiriert mich die DOMOTEX, es doch einmal zu versuchen.

Sie sind in Kuovola, Finnland geboren und aufgewachsen, wo die Wintermonate dunkel und trostlos sind. In Ihren Illustrationen nutzen Sie strahlende, auffällige Farben – war das Ihr Weg, dem zu entkommen?

Der Winter in Finnland kann wirklich deprimierend sein. Als ich noch dort gelebt habe, habe ich sehr leuchtende Farben benutzt. Aber jetzt, in Amsterdam, ist mein Alltag bunter – und die Farben, die ich für meine Arbeit nutze, sind durchdachter und weniger grell. Also ja, man kann schon sagen, dass das zusammenhängt.

Inwiefern hat Sie Ihre Kindheit geprägt?

Trotz der Kälte und Dunkelheit habe ich an die finnischen Winter großartige Erinnerungen. In den Wäldern bin ich viel Ski gefahren, und der Schnee hat den Bäumen immer verrückte Formen gegeben. Auch diese Eindrücke nutze ich heute noch für meine Arbeit. Die Naturerlebnisse in meiner Kindheit haben meine Arbeit definitiv beeinflusst.

Sie leben jetzt in Amsterdam. Warum haben Sie sich für diese Stadt entschieden?

Ich habe vorher in Paris gelebt und wollte etwas Neues ausprobieren. Amsterdam habe ich immer wegen seiner coolen Atmosphäre geschätzt. Als ich dorthin gezogen bin, hatte ich das Glück, das perfekte Studio zu finden. Die Stadt ist sehr international, obwohl sie viel kleiner als Paris ist. Gerade in der Designszene passiert dort unheimlich viel. Hier leben eine Menge Designer, mit denen man zusammenarbeiten kann.

Wie sieht es bei Ihnen zu Hause aus – ähnelt der Stil dem Ihrer Werke?

Zuhause hat meine Frau das Sagen (lacht). Aber an unseren Wänden hängen zahlreiche meiner Designs. Wir leben in einem traditionellen Amsterdamer Haus aus dem frühen 20. Jahrhundert. Ich mag es, wenn der klassische Stil mit strahlenden Textilien gebrochen ist. Bei uns Zuhause verschmilzt Tradition mit Moderne.

Was wird die Zukunft für Ihre Kunst bringen?

Gerade bereite ich ein Stück für eine Ausstellung im Victoria and Albert Museum in London im Februar 2017 vor. Bald fange ich an, es zu weben. Auch mit den Wandteppichen werde ich weitermachen. Daneben arbeite ich mit einigen Marken aus dem Bereich Interior Design zusammen: Für verschiedene Hersteller illustriere und designe ich Textilien. So mache ich zum einen mein eigenes Ding, aber arbeite auch mit anderen zusammen. Es fasziniert mich, zwischen völliger Freiheit und gewissen Regeln die Balance zu finden.